Alexia Petersen
Eine oft erzählte Anekdote handelt von einem europäischen Geschäftsmann, der, in Vorbereitung auf einen längeren Aufenthalt in Brasilien, sich große Mühe gibt, Spanisch zu lernen. Erst nach seiner Ankunft in Rio de Janeiro stellt er fest, dass die Landessprache Portugiesisch ist. Heutzutage klingt solch ein Irrtum für unsere globalisierten Ohren eigentlich zu elementar um glaubhaft zu sein. Aber als Beispiel dafür, wie sich aus falschen Annahmen direkt eine Art von Misskommunikation entwickelt, eignet sich diese Anekdote ganz gut um zu zeigen, worauf sich erfolgreiche oder erfolglose interkulturelle Kommunikation gründet.
So schnell man sich dazu verleitet fühlt, eine Diskussion über "europäische Kultur" mit Hinweisen zu beginnen, welche großen regionalen Unterschiede es gibt, so schnell müsste man dies ebenfalls in Bezug auf die individuellen Kulturen tun, die wir unter dem Namen "Lateinamerika" normalerweise in einen Topf werfen. Brasilien ist beispielsweise oft das einzige Land, das sich unserer Meinung nach vom restlichen Spanisch sprechenden Südamerika deutlich unterscheidet, da das Mutterland Portugal ist, und nicht Spanien.
Im Rahmen dieses kurzen Artikels interessiert uns allerdings weniger eine Untersuchung der unbestreitbaren Gemeinsamkeiten zwischen "typischem" lateinamerikanischem Kommunikationsverhalten auf der einen Seite, und spanischem/portugiesischem auf der anderen. Auch wenn Europäern das Temperament bekannt vorkommt, hauptsächlich durch den feurigen spanischen Einschlag, so sind Südamerikaner keine Spanier oder Portugiesen; genauso wenig wie Nordamerikaner keine Briten und Québécois keine Franzosen sind. Der Europäer, der aus Tausenden von Kilometern Entfernung nach Südamerika blickt und nach einer "europäischen Verbindung" sucht, die ihm die kulturellen Unterschiede zugänglicher macht, sollte vorsichtig sein, die europäische Herkunft dieser Kulturen nicht über zu betonen. Die Gefahr besteht darin, die Entwicklungsprozesse zu übersehen, die in Südamerika zu kulturellen Orientierungen geführt haben, die sich von denen in der "Alten Welt" deutlich unterscheiden.
Obwohl Südamerikaner in nicht geringem Maße Kommunikationsstile und Verhaltensweisen zeigen, die definitiv Romanisch-Mediterranen Ursprungs sind (z.B. eine starke emotionale Prägung, Beziehungsorientierung, mañana Tendenzen, eine "flexible" Interpretation der Wahrheit), kann man nicht den Einfluss unberücksichtigt lassen, den eine völlig andere Entwicklungsgeschichte auf die Kulturen hat. Ohne Zweifel sind Sprache und das kulturelle Erscheinungsbild Südamerikas - insbesondere im Umfeld des internationalen Business, das durch eine soziale Schicht beherrscht wird, die vorwiegend europäisch orientiert ist - spanisch geprägt. Trotzdem dürfen andere wichtige Einflüsse, die das Kommunikationsverhalten von Südamerikanern entscheidend geprägt haben, nicht übersehen werden, insbesondere der Prozess der Auswanderung und Ansiedlung in einer weiten, abgelegenen und in großen Bereichen unberührten Landschaft. Hier hatten zudem die einheimischen Kulturen die sich bildende Gesellschaft der Neuen Welt entscheidend beeinflusst. In Nordamerika dagegen sind die Spuren der einheimischen Kulturen im heutigen kulturellen Erscheinungsbild kaum mehr auszumachen. Unter diesem Gesichtspunkt dominieren europäische Sprache und Herkunft nicht die kulturelle Prägung Südamerikas, sie stellen nur zwei Ausschnitte eines größeren Bildes dar.
Auf kultureller Ebene suchen wir automatisch nach dem, was uns bekannt vorkommt, da uns diese Verbindung das gewünschte Gefühl der Vertrautheit gibt. Wir benötigen diese Sicherheit als Gegengewicht zu den unvermeidlichen Unterschieden, denen wir begegnen werden, um in einer unbekannten Umgebung effektiv agieren zu können. Dieser Drang zur Bildung einer emotionalen Verbindung verleitet gerade die Menschen aus den ehemaligen Ursprungsländern leicht dazu, Herkunft über zu betonen und die spezifischen Unterschiede zu den neuen Kulturen, die durch stark unterschiedliche Entwicklungsprozesse geprägt worden sind, zu vernachlässigen.
Wo zum Beispiel Beziehungen nicht automatisch durch Verwandtschaften und familiäre Bindungen entstehen, sondern sich in Siedlungen von Auswanderern "Ersatzfamilien" bilden, die zum Überleben und zur gegenseitigen Unterstützung in einer geographisch abgelegenen Umgebung notwendig sind, dort bildet sich ein anderes Kommunikationsverhalten zum erfolgreichen Aufbau von Beziehungen aus. Dies ist bereits ein entscheidender Unterschied zum spanisch-portugiesischen Verhalten bei der Bildung von Beziehungen.
Wo der Aufbau und die Pflege von Kontakten in einer abgelegenen und dünn besiedelten Landschaft zur Frage des Überlebens werden, zeugen Optimismus, Ausgelassenheit und Übertreibungen von einer erstaunlich grundlegenden Komponente der Beziehungs- und Vertrauensbildung: Vom Wunsch, anderen zu gefallen. In solch einer Umgebung, in der sowohl die physische als auch die psychologische Distanz zum Nachbarn von Natur aus sehr groß ist, muss die Art, wie man Freundschaften und Allianzen misst und bewertet, notwendigerweise lockerer und vielseitiger ausgelegt werden. Als "Freund" wird daher jeder bezeichnet, zu dem man bereits eine Beziehung hat. Der genaue Grad der Freundschaft wird dann als Zusatz ausgedrückt; auf diese Weise unterscheidet man dann einen "guten Freund" von einem "engen Freund" von einem "besten Freund", usw. Wie in Nordamerika auch entstand die Kunst der Konversation nicht in den Salons der Intellektuellen, wie etwa in den Ursprungsländern, sondern durch die Kommunikation mit Fremden. Egal ob es sich um eine eloquente Konversation oder um Geplänkel handelt, ob um große Themen oder kleine; wer ein Gespräch beginnt, investiert immer einen Vertrauensvorschuss, der die emotionale Distanz zu einem Fremden überbrückt und die Basis für eine mögliche Beziehung liefert.
Der deutsche Geschäftsreisende, der nach Süd- oder Nordamerika fährt, sollte sich dieser fundamental unterschiedlichen Werte in Bezug auf die Beziehungsbildung bewusst sein und sich darauf vorbereiten, das Einleiten des Kontaktaufbaus durch einen deutlich flüssigeren Kommunikationsstil zu unterstützen.
Auch wenn es den Rahmen dieses Artikels sprengt, so sei an dieser Stelle trotzdem darauf hingewiesen, dass es in diesem Zusammenhang einen entscheidenden Unterschied in der kulturellen Herkunft zwischen Nord- und Südamerika gibt. Wie Frank Acuff bemerkt (How to Negotiate Anything with Anyone Around the World, 1993) kamen Spanier und Portugiesen vor allem als Eroberer nach Südamerika, und zwangen der neuen Umgebung ihre traditionellen kulturellen Prägungen auf (insbesondere die hierarchischen Machtstrukturen). Sie sahen sich immer als Teil des Heimatlandes und nicht als Gründer einer neuen Kolonie oder als Siedler, wie dies die Nordamerikaner taten, die in großer Zahl vor Unterdrückung in der Alten Welt flohen. Das sich daraus ergebende soziale und kulturelle System basierte daher auf dem herrschaftlichen Stil der Heimatländer, besonders innerhalb der regierenden Schicht. Dies führte zur Entwicklung eines indirekten Kommunikationsstils, der dem der Ostasiaten und Afrikaner sehr ähnlich ist, und der insbesondere dazu dient, die Selbstachtung (bzw. das "Gesicht") der höheren Ränge zu bewahren. Die flache Hierarchie in Nordamerika förderte dagegen eine stark individualistisch ausgeprägte Orientierung, die ein Ergebnis des Kampfes ist, das eigene Schicksal in einer vorgeblich klassenlosen Umgebung selbst zu bestimmen.
Aus Rücksicht gegenüber einem höheren sozialen Rang kann das Kommunikationsverhalten im Spanisch sprechenden Südamerika daher nicht nur entwaffnend herzlich und locker unter Fremden sein, sondern auch formell und vage in einer geschäftlichen Umgebung, abhängig davon mit wem man über welches Thema spricht. Rechnen Sie damit, dass Mitarbeiter Vorgesetzten gegenüber weniger freigiebig mit Kritik und anders lautenden Meinungen sind, oder mit Ansichten darüber, was machbar oder nicht machbar ist. Sie werden daher öfters das zu hören bekommen, was ihrer Meinung nach Ihren Erwartungen entspricht.
Berücksichtigt man gleichzeitig die Bedeutung der persönlichen Beziehungen in Lateinamerika, so wird klar, dass man darauf vorbereitet sein sollte, der menschlichen Komponente einer Geschäftsbeziehung stets den Vorrang vor den legalen und technischen Details zu geben. Wie in Spanien und Portugal auch, so baut ein steifer und förmlicher Kommunikationsstil, zusammen mit dem Bestehen auf Fakten und "Rechten" nur unnötige Barrieren auf, die der natürlichen Bereitschaft schaden, gegenüber seinem europäischen Gesprächspartner Einfühlungsvermögen zu zeigen.
Dies erinnert mich an die vielen Momente, in denen Kulturschock und Misskommunikation im Filmhit My Big Fat Greek Wedding Grund für die Situationskomik sind. Dieser Film sollte übrigens zum Pflichtprogramm eines jeden gehören, der sich für die Dynamik in der interkulturellen Kommunikation interessiert. Dem Erfolg des Film liegt mehr zu Grunde als nur die üblichen Konflikte zwischen Generationen und Kulturen. Im Film ist der Vater fest davon überzeugt, dass jedes Wort, Kimono eingeschlossen, auf griechische Wurzeln zurückgeführt werden kann. Die dann folgende Verbalgymnastik, die nötig ist, um die Verbindung zu himonas (dem griechischen Wort für Winter) herzustellen ("denn im Winter trägt man lange Mäntel, die einen warm halten"), ist eines der vielen komischen Elemente im Film, ist aber gleichzeitig ein Symbol dafür, wie konstruiert und künstlich diese Verbindung zur "geerbten" Kultur tatsächlich ist.
Tatsächlich hat jeder von uns etwas vom Vater im Film. Im kulturellen Zusammenhang nehmen wir an, dass unabhängig von unserer Umgebung, aber gerade wenn eine gemeinsame Sprache oder Herkunft existiert, der Stil und der Inhalt unserer Kommunikation im Wesentlichen unverändert bleiben. Aber wie der Film zeigt, droht gerade der Beziehung zwischen der Tochter und den Eltern, die durch Familienbande, ein gemeinsames kulturelles Erbe, sowie zwei gemeinsame Sprachen eigentlich gestärkt sein sollte, ein Desaster nach dem anderen. Im Gegensatz dazu steht der kompatible Kommunikationsstil der beiden Protagonisten, der Tochter und ihrem Freund. Nicht nur, dass beide ein unterschiedliches kulturelles Erbe in die Beziehung einbringen; beide weichen auch in erheblichem Maße vom "geerbten" Kommunikationsstil ab. Und trotzdem, oder gerade deshalb, ist die Kommunikation zwischen ihnen erfolgreich.
Kompetente und effektive interkulturelle Kommunikation wird durch die natürliche Stütze gemeinsamer Wurzeln begünstigt, wenn es sie gibt. Aber so wie in den Beziehungen im Film beobachtet man auch in der Realität, dass es keine Garantie für kompatible Kommunikationsmuster gibt, nur weil die "Parent" Culture ("Eltern"-Kultur) und die "Offspring" Culture ("Kind"-Kultur) gemeinsame kulturelle Wurzeln haben. Eine Analogie zwischen echten Eltern und Kindern macht dies deutlich: Wie stark der Charakter eines Kindes durch genetische Faktoren vorbestimmt ist, und wie sehr er sich durch das eigene Leben und die Umgebung individuell entwickelt, ist ebenfalls der Gegenstand von Studien. Letztendlich muss eine echte Beurteilung des Kommunikationsstils der "Neuen Welt" und der ihr zu Grunde liegenden kulturellen Werte den Blick auf die Bedingungen richten, die sie irreversibel geändert haben, und unter deren Einfluss eine einzigartige, individuelle Identität entstanden ist.
Alexia Petersen, April 2003
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Die folgenden Checklisten sollen Ihnen zu einem reibungsloseren, kommunikativeren Dialog mit Lateinamerikanern verhelfen. Bedenken Sie aber bitte, dass solche Listen Produkte der erfolgreich erworbenen Kompetenz in der interkulturellen Kommunikation darstellen, und nicht die Grundlagen dafür sind. Grundlage für das Erlernen der Fähigkeiten, wie man mit anderen Kulturen kommuniziert sind Kenntnisse darin, warum bestimmte Verhaltensweisen in anderen Kulturen vorherrschen. Unser Ansatz besteht darin, den Teilnehmern unserer Seminare und Workshops die kulturellen Kernkonzepte zu vermitteln, die in den verschiedensten Kulturen zu den jeweiligen Verhaltens- und Kommunikationsmustern führen. Diese Kenntnisse sind die Grundlage zur Entwicklung der Fähigkeiten, Kommunikationshürden zwischen Kulturen zu überwinden. Unser Ziel ist es unseren Lesern zu ermöglichen, ihre Fähigkeiten in der interkulturellen Kommunikation selbst weiter zu entwickeln, um sie früher oder später zu befähigen, ihre eigenen, persönlichen Checklisten zu erstellen. Aus diesem Grund finden Sie am Ende der Checkliste einen Abschnitt, der Ihnen als Leitfaden dazu dienen soll, Ihr erworbenes interkulturelles "Vokabular" aktiv anzuwenden. Wer auf diese Weise auf soliden Kenntnissen aufbaut, für den führt "Learning by Doing" auch in der interkulturellen Kommunikation zum Erfolg.
Bevor Sie diese Checkliste lesen, lesen Sie bitte
Was Sie vermeiden sollten
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Was Sie beachten sollten
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Was Sie tun sollten
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Smalltalk ThemenDiese Liste von Smalltalk Themen ist eine adaptierte und vereinfachte Version der entsprechenden Liste für Spanien (siehe unseren Artikel über Spanien).Symbole: Sehr gutes, gutes, kein gutes, schlechtes Thema.
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Interkulturelle Kompetenz entwicklen
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