Wollten Sie nicht auch immer schon mal einen Leichensack gewinnen?

Sie kennen das sicher auch: Man geht einkaufen und kommt mit Dingen zurück, die man eigentlich gar nicht auf seiner Liste hatte. So ging es uns auch letztes Jahr während einer der üblichen Samstags-Einkaufsexpeditionen. Noch bevor wir den Supermarkt richtig betreten hatten, fiel mir am Eingang einer dieser "Aktionsstände" auf, die so oft die Supermärkte zieren. Ein fast mannshohes Pappgebilde eines Getränkeherstellers, in den Hausfarben der Firma gehalten. Es sollte die Vorbeigehenden dazu animieren, eine der bunten Antwortkarten aus dem Halter zu nehmen, auszufüllen, und in den Bauch des Ständers zu werfen. "Mit etwas Glück", wie es auf solchen Karten immer heißt, kann man dann etwas gewinnen, das man garantiert brauchen kann. Im Vorbeigehen verfängt sich mein Blick am fett gedruckten Gewinn. Ich wundere mich erst, dann kann ich das Lachen kaum noch unterdrücken. Es sind ... Leichensäcke!

Wer in aller Welt verlost so etwas als Gewinn? Ein deutscher Getränkehersteller, wie gesagt, und kein kleiner. Dieser Hersteller hat sich auf eine alkoholische Getränkeart spezialisiert und ist damit in Deutschland Marktführer geworden, er verkauft mehr Getränke dieser Sorte als alle anderen Hersteller zusammen. Aber warum glaubt dieser Hersteller, dass er seinen Umsatz noch weiter erhöht, wenn er Leichensäcke verlost?? Nun ja, ehrlich gesagt, er weiß es nicht, dass er Leichensäcke verlost, er hat es gar nicht gemerkt. Er hat nämlich das englische Wort für Leichensack benutzt: "Body Bag".

Auch wenn es ein deutscher Hersteller ist, der diese deutschsprachige Werbeaktion für den deutschen Markt konzipiert hat, hat er ein englisches Wort gewählt, von dem er angenommen hat, dass die meisten potentiellen Kunden damit etwas anfangen können. "Body" ist schließlich bekannt genug, wie zum Beispiel in "The Body Shop", "der Body" (womit in der "neudeutschen" Sprache ein Bodysuit gemeint ist), und natürlich "Bodybuilding". Auch "Bag" ist ein englischer Begriff, der durchaus seinen Weg in die neudeutsche Sprache gefunden hat. Das Foto, auf dem Aktionsstand und den Teilnahmekarten abgebildet, zeigt den Gewinn lässig über die Schulter von zwei jungen Leuten drapiert. "Body" + "Bag". Der Ausdruck "Body Bag" sollte doch eigentlich perfekt passen, oder nicht?

Interessanterweise ist "Body Bag" das einzige englische Wort in dieser Werbung, der Rest ist in Deutsch. Und dieses englische Wort soll dem abgebildeten Gewinn nach anscheinend etwas ganz anderes beschreiben: eine Art Rucksack. Aber der Hersteller vermutete wohl, das das deutsche Wort Rucksack nicht "hip" genug sei, um die Zielgruppe der jüngeren Kunden anzusprechen.

Und damit ist dieser Hersteller in eine Falle getappt, in die viele Firmen geraten, die versuchen, ein fremdsprachiges Modewort für ihre eigenen Produkte zu kreieren oder zu entlehnen. Sie übersehen oft, dass dieses Wort in der Originalsprache mit einem zum Teil völlig anderen Begriff belegt ist. "Body Bag" mag zwar einem Marketing oder PR Manager, der nicht besonders gut Englisch spricht, wie eine passende Umschreibung für einen Rucksack erscheinen, aber dieser Eindruck täuscht eben, "Body Bag" ist und bleibt ein Leichensack!

Damit reiht sich der Hersteller mit seinem "Body Bag" in eine Liste ähnlicher Patzer ein, die keineswegs kurz ist. Viele Hersteller übersehen dabei einfach, dass Englisch, selbst in der Art, wie es heutzutage benutzt wird, mehr ist als ein Reservoir von gut klingenden Wörtern und den damit assoziierten Bildern. Interessanterweise gibt es in verschiedenen Ländern eine Reihe von Getränkenamen, die in anderen Ländern nicht sehr gut ankommen würden. In Japan wird ein Getränk namens "Piss" verkauft, während Polen ein Getränk namens "Fart" auf dem Markt ist.

Und was hat dieser Fall mit interkultureller Kommunikation zu tun? Der Hersteller kommuniziert durch seine Werbung mit potentiellen Kunden. Schließlich ist es das Ziel eines jeden, der Werbung betreibt, seinen potentiellen Kunden eine bestimmte Botschaft zu vermitteln, um bei ihm eine Reaktion ("Sieht interessant aus!") hervorzurufen, oder, im Idealfall, eine Aktion auszulösen (Ausfüllen der Teilnahmekarte).

Interkulturell wird die Sache in dem Moment, wo Hersteller und Kunde aus verschiedenen Kulturen kommen. Dies muss noch nicht einmal im internationalen Umfeld sein, bereits im inländischen Markt tritt dieser Fall oft genug auf, wie im vorliegenden Beispiel auch. Herstellerfirmen können es sich nicht leisten zu vergessen, dass ein Teil der Kunden im eigenen Land ebenfalls anderen Kulturkreisen angehört, und für die Englisch eine Haupt- oder sogar eine Muttersprache ist. Die Firmen, die dies ignorieren, riskieren nicht nur, dass sie sich lächerlich machen, sondern auch, dass sie wichtige Teile ihres Marktes nicht erreichen. Das größte Risiko dabei ist natürlich, dass sie dies noch nicht einmal bemerken.

Aber richtig gefährlich wird es, wenn man auf den internationalen Markt geht. Der Getränkehersteller exportiert sein Getränk in mehrere Dutzend Länder auf vier Kontinenten. Darunter sind vermutlich zahlreiche Länder, in denen Englisch gesprochen wird. Nicht auszudenken, was man für einen Schaden angerichtet, wenn das Wort "Body Bag" zu Marketingzwecken in Ländern benutzt wird, in denen mehr Menschen als hier in Deutschland wissen, was es tatsächlich bedeutet. Ein solcher Imageschaden ist nur schwer zu reparieren.

Die Frage ist, ob sich der Getränkehersteller dieses Problems eigentlich bewusst war. Ich schrieb deshalb ein Fax an die Firma, um sie auf diesen Fehlgriff hinzuweisen und nachzufragen, ob ihnen dies klar sei. Die Antwort kam postwendend: Man dankte uns für den Hinweis, denn man habe die eigentliche Bedeutung des Ausdruckes "Body Bag" nicht bedacht, aber glücklicherweise auch nicht vorgehabt, dieselbe Werbeekampagne auf das Ausland auszudehnen.

Trotzdem bleibt natürlich das Problem bestehen, dass man auch im Inland mit diesem Begriff all den bestehenden und potentiellen Kunden etwas falsches kommuniziert, die den Begriff als "Leichensack" kennen. Aber es besteht eben ein Unterschied zwischen einer Werbemaßnahme, die einfach nur nicht so erfolgreich ist, in dem sie nicht viele Neukunden bindet, und einer Werbemaßnahme, die darüber hinaus sogar noch existierende Altkunden vergraulen könnte. Es ist eine Binsenweisheit der Werbebranche, dass es einfacher ist, Altkunden zu behalten als Neukunden zu gewinnen. Wenn sich aber herausstellt, dass selbst dies von einer Werbemaßnahme voraussichtlich nicht geleistet werden kann, dann ist es Zeit, die Notbremse zu ziehen und die Aktion abzubrechen.

Ob auch der Getränkehersteller zu derselben Einsicht gekommen ist, können wir nicht beurteilen, aber bereits kurze Zeit später waren die Aktionsstände und die Antwortkarten aus den Supermärkten verschwunden, die einzig richtige Entscheidung. Mein Versuch, noch ein paar zusätzliche Exemplare dieser Antwortkarten der Nachwelt zu erhalten, war somit leider erfolglos.

Und wie sieht es heute aus, mehr als ein Jahr danach? Mein Besuch auf der Website des Getränkeherstellers zeigt, dass man den gleichen Rucksack, der damals "Body Bag" genannt wurde, im Online-Shop des Getränkeherstellers kaufen kann. Er ist natürlich umgetauft worden. Aber wenn man genauer hinsieht, lässt sich sein ursprünglicher Name doch noch erkennen: Sieht man sich den Namen der Grafikdatei, die den Rucksack zeigt, im HTML Quelltext an, so heißt diese noch immer bodybag.jpg.

Stephan Petersen, Juni 2001

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